Quad ESL 989
Reise zum Mittelpunkt der Musik
Applaus braust auf in der Philharmonie am Gasteig in München. Der Maestro Sergiu Celibidache nimmt den Beifallssturm dankend entgegen. Welch ein Abend - Bruckners 5. Sinfonie in Vollendung! Leises Zupfen der Celli, ruhiges Singen der Violinen, verstärkt durch Fagotte. Plötzlich das volle Tutti des gesamten Orchesters, einem Schicksalsschlag gleich. Antwort durch einen Choral. In veränderter Tonlage erneut das alles zerreißende Fortissimo des riesigen Orchesters. Dann ... feinste Einzelstimmen der Holzbläser, leise Pizzicato-Klänge der Streicher, Spannung, ja Hochspannung aufbauend. Wie werden nach diesem fantastischen Beginn erst die folgenden Sätze werden, wie das grandiose Finale? Ich werde nicht enttäuscht. Formvollendet in den Tempi
und im Herausarbeiten der Stimmen fügt Celibidache die drei vorangehenden Sätze zu einem kolossalen Gemälde von Sein und Vollendung zusammen.
Ich öffne die Augen: Vor mir sind keine Zuschauerreihen, kein Orchester, kein Dirigent. Ich sitze in meinem Wohnzimmer, vor mir meine Jadis-Anlage und zwei elegante, 133 cm hohe, silbergraue, flache Lautsprecher. Welch ein Musikerlebnis bescherten mir diese Elektrostaten. Diese Klarheit, diese Verfärbungsfreiheit, diese Dynamik - das ist "Live".
Der Name dieser Schallwandler: Quad ESL 989. Morgen abend haben sich die Herren Claudio Arrau und Alfred Brendel, von Beruf Weltklassepianisten, bei mir angemeldet. Außerdem sollen noch das Vermeer-Quartett aus Kanada und das Schubert-Quartett aus Wien kommen. Bin ich gespannt, wie die Quad mit Kammermusik umgehen ...
Bis dahin haben wir Zeit über diese Lautsprecher zu plaudern: Elektrostaten von Quad verzaubern bereits seit 1957 Hörer, welche nach möglichst unverfälschter Klarheit der Musikwiedergabe suchen. Nicht umsonst hatte der Quad aus dieser Zeit den Spitznamen: "Walkers kleines Wunder". Der
durchschlagende Erfolg kam 1963 mit FRED (Full Range Electrostatic Doublet), bekannt unter den Kürzel ESL 63. Dieser wurde Referenzlautsprecher in vielen Tonstudios in aller Welt.
Zu Unrecht? Sicher nicht! So viele Ohren über Jahrzehnte hinweg können sich nicht geirrt haben. Denn das patentierte Grundprinzip, ja das offene Geheimnis des Folienantriebs wurde seit diesen Anfangszeiten beibehalten: Ringförmige, konzentrische Elektroden auf der hauchdünnen Folie. Genial einfach: Das theoretische Ideal einer punktförmigen Schallquelle in großer Annäherung verwirklicht durch diese Elektrodenringe, welche, untereinander zeitverzögert, verschieden große Flächen der elektrisch leitenden Folie ansteuern. Die im Sockel integrierte Hochspannungselektronik wurde im Laufe der Jahre immer weiter vervollkommnet, die Abstrahlfläche zugunsten tieferer und kräftigerer Bässe vergrößert. Heraus kam letztlich das neue Flaggschiff der Firma Quad, der ESL 989. Eine 45-jährige Elektrostatenerfahrung gepaart mit moderner Innovation - welch' eine Kombination.
Natürlich benötigt jeder dieser Lautsprecher einen eigenen Netzanschluß zur Versorgung der Hochspannungselektronik. Der Verbrauch von 6 Watt ist so gering, daß die Schallwandler, mit Ausnahme längerer "musiklosen" Zeiten und Gewittern, durchaus eingeschaltet bleiben können, ohne daß der Besitzer ein schlechtes Umweltgewissen haben muß. Dem Klang kommt dies zugute, es muß aber nicht unbedingt
sein. Im Sockel befindet sich nur ein Paar Lautspreckerklemmen. Diese sind aber massiv und vergoldet. Bi-Wiring ist also nicht möglich. Das habe ich aber auch während keiner einzigen Minute meiner Hörsitzungen vermißt.
Besser ist immer ein Paar Lautsprecherkabel gehobener Qualität als zwei Paar "Billigheimer", die mehr dämpfen als gutmachen. Aber keine Angst: Die Quad ESL 989 fordern keine "verrückten" Kabel in pekuniär astronomischen Höhenlagen. Meine "no
name" - Reinsilberkabel feuerten die Quad bei allen Musikrichtungen, keine Wünsche offenlassend, an. Günstigere Kabel, so etwa ab der 100-EUR-Klasse pro 2mPaar, hätten durchaus ausgereicht, aber ein Versuch zeigte mir schnell, daß der Baß hier etwas weniger konturiert, die Bühne nicht ganz so tief war.
Jetzt sind auch die angekündigten Gäste eingetroffen: Claudio Arrau und Alfred Brendel. Ein wenig plattgedrückt zwar, in Form von Silberscheiben, künstlerisch dafür in Hochform. Beethovens "Apassionata" zelebriert Claudio Arrau. Welch klarer, akzentuierter Anschlag, die Handschrift eines großen Pianisten. Genauer: Eines Virtuosen, dessen Klavierton auch und besonders in den leisen und langsamen Sätzen stets prägnant und kultiviert ist. Gerade der 2. Satz der Apassionata gibt Zeugnis über Arraus Klavierklang-Kultur. Gemäßigten, feierlichen Schrittes, dem Betreten einer Kathetrale gleich, beginnt dieser Satz. Tempo- und Harmoniegefühl sind vom Interpreten gefordert. Keine Frage: Claudio Arrau,
einer der größten Pianisten dieser Zeit, beherrscht dies par excellence. Können auch die Quad ESL 989 genau dies reproduzieren? Ich schließe die Augen. Eine völlig entspannte, feierliche Gemütslage erfaßt mich. Wahre, absolute Kunst. Nichts stört den Frieden, weder zu scharfe Höhen, noch mangelnde Baßgewalt. Es spielt ein großer Konzertflügel, kein kleines Klavier. Bin ich etwa live dabei? Antwort: Uneingeschränkt "Ja"!
Alfred Brendel gibt eines meiner Lieblingstücke von Franz Liszt zum besten: Les jeux d' eau a la Villa d' Este, die
"Wasserspiele der Villa d' Este", Franz Liszts spätem Wohnsitz in Rom. Das "Perlen" der Kaskaden, künstlichen Wasserfällen und Fontänen muß zum Hörer "'rüberkommen". Alfred Brendel beherrscht natürlich diesen "perlenden" Anschlag. Die Quad auch? Mit einem knappen Ausdruck: Wunschlos zufriedenstellend. Die Elektrostaten spielen in diesem Genre ihre Überlegenheit durch ihre annähernde Masselosigkeit der Folienmembrane voll aus. Mühelos folgen sie den Fingern des Virtuosen und reproduzieren mit einer Leichtigkeit das Wasserplätschern, das "Perlen" mit solcher Frische und Spielfreude, wie sie von dynamischen Lautsprechern nur sehr schwer zu erreichen ist.
Wenn nun das kanadische Vermeer-Quartett seinen Disc-Besuch abstattet, interessiert mich neben den Klangfarben der edlen Instrumente vor allem die Raumaufteilung zwischen den Musikern und deren genaue Ortbarkeit. Beethovens Quartett op. 132 habe ich auserkoren. Vor allem der 3. Satz mit dem von Beethoven selbst verfaßten Titel "Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" ist von berückender Schönheit. Wie herrlich die Cantilenen des Violas, begleitet vom zarten Baß des Cellos. Die Violine "piepst" nicht, sie ist ein Meisterwerk der Instrumentenbaukunst. Genauso klingt sie auch durch die Quad. Alle Achtung! Die Künstler sitzen räumlich klar getrennt, sogar die Bewegungen der Oberkörper während des Spiels werden gleichsam "sichtbar". Vielleicht liegt die Ursache des natürlichen Klanges nur in der exzellenten Aufnahme dieser Hochpreis-CDs? Eine Billig-Aufnahme aus einer Drogeriemarktkette soll Aufschluß bringen. Mozarts
Streichquintett KV 515, aufgenommen in einer Kirche mit deren besonderen Hallverhältnissen, eingespielt vom sehr guten Schubert-Quartett (mit Verstärkung, man braucht ja fünf Musiker), überraschte mich gewaltig. Wunderschöner Streicherklang, dezenter Kirchenraum-Hall, der die Darbietung "voller" klingen läßt, und immer noch die fantastische Ortbarkeit der Instrumente und die "Luft" zwischen ihnen. Eine
begeisternde Leistung des Tonmeisters, der Künstler und der Quad ESL 989.
Bevor wir in die 3. Hörsession übergehen (eingeladen sind diesmal Marie Claire Alain, eine große Orgelvirtuosin, ein großer Chor mit Percussion-Instrumenten, Jazz-Musiker und ein paar "Rock-Krawallmacher"), nochmals einige Worte zu Quad und Elektrostaten allgemein. Jagt jemand drei Löcher in
eine Holzkiste, schraubt einen Hochtöner, einen Mitteltöner und ein Baß-Chassis hinein, füllt das ganze mit Steinwolle, so wird dieser Lautsprecher, abhängig vom übrigen
Berechnungs- und Konstruktionsaufwand zunächst mal vorurteilsfrei vom Hörer, bzw. Kunden angehört. Niemand käme auf die Idee, alleine vom Aussehen einer Box auf deren Klangeigenschaften zu schließen, ohne sie jemals gehört zu haben.
Bei elektrostatischen Schallwandlern dagegen liegen die Vorurteile schon parat, bevor sie den ersten Ton von sich gegeben haben:
Ein Elektrostat bildet einen flachen, nicht in die Tiefe gehenden Raum ab.
Ein Elektrostat ist extrem aufstellungskritisch.
Ein Elektrostat produziert nur eine klanglich "dünne" Wiedergabe.
Ein Elektrostat benötigt kräftige Amps (Verstärker).
Ein Elektrostat ist nur etwas für leise Musikstücke.
Ein Elektrostat taugt nicht für Hard -Rock und Techno.
Irgendwann, irgendwo haben irgendwelche, möglicherweise stocktaube, Mitmenschen dies so oder ähnlich niedergeschrieben. Als nunmehr seit zehn Jahren "praktizierender" Elektrostatenhörer darf ich diese Punkte aufarbeiten und widerlegen: Bei großorchestraler Musik ist die Tiefenstaffelung deutlich verifizierbar, ebenso bei Chören. Die Solostimmen sind vor dem Chor zu hören, dort stehen die Solisten ja im Konzert auch. Die Aufstellung
eines Elektrostaten: Mindestens 60 cm vor der Raumrückwand, mehr Abstand ist besser. Auf Abstände zu den Seitenwänden braucht kaum Rücksicht genommen zu werden, da ein elektrostatischer Lautsprecher nur nach vorne und hinten strahlt. Der Abstand der Lautsprecher zueinander, von Lautsprechermitte zu Lautsprechermitte, beträgt in meinem Raum (6m x 6m) 2,50m. Er ist also durchaus etwas weiter als bei dynamischen Boxen. Mehr braucht es nicht an Finessen bei der Aufstellung. Wo also liegt das Aufstellungsproblem? Wenn zugleich darauf geachtet wird, daß die Wand hinter beiden Schallwandlern nicht stark unterschiedlich behangen ist (extremes Beispiel: hinter dem linken Lautsprecher eine Glasfläche, hinter dem rechten Lautsprecher ein dicker Wandteppich) gibt es auch mit reflektiertem Schall keine Probleme.
Hören Sie sich doch mal eine Bruckner-Sinfonie, das Verdi-Requiem, die Carmina Burana von Orff oder ähnliche Werke mit den 989 an - und Sie vergessen das Geschwätz vom "dünnen" Klang. Elektrostaten, namentlich die Quad ESL 989, lösen traumhaft auf, produzieren aber auch Wucht, wo sie verlangt wird.
Die Carmina Burana, Verdis Requiem, aber auch Jazz habe ich mit den Quad in Lautstärken bis zum abwinken gehört. Mit wieviel Watt an Verstärkerleistung? Mit 300 Watt oder wenigstens 150 Watt? Halten Sie sich fest - mit ganzen zweimal 30 Watt. Mehr geben meine Jadis JP 30 mit ihren pro Kanal 2 EL34-Röhren nicht her. Niemals bin ich
an die Grenzen der Endstufen gestoßen. Somit ist der Punkt: "Elektrostaten taugen nur für leise Musik" schon beantwortet. Dabei beträgt die Empfindlichkeit der Quads ganze 86 dB.
Obwohl bekanntermaßen nicht mein Spezialgebiet, hörte ich die Quad auch mit "harter" Musik (in nahezu nachbarschaftsstreitheraufbeschwörenden Lautstärken) an. Weder
Techno- und Hardrock-Fans noch ich befanden diese Elektrostaten für "schwachbrüstig", auch nicht bei Schlagzeug und Baßgitarren-Orgien. So, haben Sie immer noch Probleme mit dem Wort
"Elektrostat"?
Doch lassen Sie mich etwas mehr ins Detail gehen. Nach Großorchester, Klavier und Streicher-Kammermusik geht es mit den Quad ESL 989 nun richtig (lautstärkemäßig) zur Sache.
Jeder kennt Carl Orffs Carmina Burana. Stark differenziertes Percussion -Ensemble, großer Chor und im letzteren besonders zarte Frauenstimmen wechseln in rascher Folge. Die Illusion einer Bühne gelingt den Quad hervorragend. Hinten der Chor, schön aufgeteilt die Frauenstimmen und die mittleren und tiefen Männerstimmen. Seitlich davor ist rechts die Schlagzeug-Gruppe positioniert, die Gesangs-Solisten in der Mitte. Alles wird unglaublich klar, luftig und doch gewaltig reproduziert. Nichts wirkt, auch nicht bei hohen Lautstärken der Tutti, verschmiert.
Eine große Überraschung bringt Verdis allbekanntes Requiem. Unheimlich leise beginnt das Requiem Aeternam; dann, alle Urgewalten entfesselnd,
das Dies Irae. Der Sprung von pianissimo zu einer der gewaltigsten Fortissimo-Passagen der Musikliteratur stellt eine Herausforderung für jedes Lautsprechersystem dar. Wirklich grandios, wie die Quad diesen enormen Dynamiksprung schafft. Zuerst leisester Chor, moderate Soli - dann der "Atombombenschlag" des Dies Irae. Trotz der Extrem-Lautstärke aber immer alles durchhörbar, trennbar. Überwältigend.
Völlig andere Anforderungen stellt eine Jazzkeller-Aufnahme: Die Gold-CD des "Dave Brubeck Quartett" mit dem Jazz-Evergreen "Take five" soll zeigen, ob die Quad auch echte Jazzkeller-Live-Atmosphäre aufkommen lassen kann. Na, und wie die ESL 989 das können. Augen zu, schon sitzt der Hörer im Jazzkeller, riecht den Zigarettenrauch, den Bier- und Whiskyduft. Das Knie wippt im Takt mit. Originallautstärke, Live-Klang. So und nicht anders soll es sein.
Harte Kost verdauen die Quad ESL 989 ebenfalls gut. Sicher, wer nur auf knallharte Extrem-Bässe achtet, somit Lautsprecher überwiegend als Bauchmassage-Maschinen betrachtet, der kann brutalere Bässe deutlich billiger haben. Möchte der Hardrock-Fan aber auch noch raushören, welche Drum, welches Becken der Schlagzeuger gerade bearbeitet oder ob er soeben zwei leicht unterschiedlich gestimmte Becken geschlagen hat, dann sollte er die Quad zumindest mit seiner bevorzugten Musik mal anhören. Keinesfalls aber sollte er schon abwinken, bevor er sie gehört hat. Ich kann mir vorstellen, daß
auch ein Rock- oder Techno-Liebhaber durchaus überrascht sein wird, wozu der ESL 989 fähig ist. Und zur Beschallung von Open-Air-Heavy-Metal-Konzerten wird ohnehin niemand Elektrostaten benutzen.
Fazit: Celibidache mit den Münchener Philharmonikern brachte mir ein sinfonisches Erlebnis, das seinesgleichen sucht. Claudio Arrau und Alfred Brendel zeigten durch die Quad ihr alles überragendes pianistisches Können. Streichquartette brillierten mit sensibler, feinsinniger Kunst. Große Chöre in Verdis Requiem und Orffs Carmina Burana zeigten feindifferenzierten Stimmenaufbau vereint mit opulenten Lautstärken. Jazzkeller-Atmosphäre stellte sich mit "Take Five" in meinem Wohnzimmer ein. Hardrock lotete die Grenzen der ESL 989 aus, ohne diese zu überschreiten. Langjährige Leser des Hörerlebnis wissen, daß Rock, Pop und auch Jazz nicht meine Spezialgebiete sind, genau genommen ich keine Ahnung davon habe. Über Dinge, von denen ich keinen Schimmer habe, schreibe ich ja sonst grundsätzlich nicht. Deshalb stand mir bei der Beurteilung dieser Musikgattungen mein Freund Gerhard Fisch aus Regensburg, seines Zeichens Spezialist in diesen Musikgattungen und zudem "High-Ender", beratend zur Seite.
Ein Lautsprecher-Bericht, der in drei Tagen entstand? Mitnichten! Die imaginären Künstlerbesuche an drei Abenden haben natürlich nur rein rhetorischen Charakter - sie stellen ausschließlich die Quintessenz einer dreimonatigen, intensiven Beschäftigung mit diesen faszinierenden Schallwandlern dar. Dem aufmerksamen Leser wird meine Begeisterung für die Quad ESL 989 nicht entgangen sein. In allen von mir gehörten Musikrichtungen zeigten diese Schallwandler die Schönheit der Musik in absolut ehrlicher und doch faszinierender Weise.
Dynamische Lautsprecher-Konstruktionen können fraglos begeistern. Elektrostatische Schallwandler auf der einen Seite des audiophilen Spektrums und Hornlautsprecher auf der entgegengesetzen Seite dagegen können ... verzaubern!
Theodor Auer
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